Donnerstag, 2. November - Revolution statt Krieg
Stimmungen ändern sich
Werktag in Bremen. Vor dem Technischen Bildungszentrum, umringt durch eine
Polizeistation und die „Arbeitsagentur“, ist erstmals seit langem von einer Zukunft die
Rede, die Leiharbeit, Hartz IV, all die „Vermittlungen“ in die „Vermittlung“ hin zum
Soldatenrock und die Zwangsarbeit tatsächlich zum Teufel jagen kann. „Gleichen Tritts
marschiern die Lehrer“ heißt es in Bertolt Brechts „Der Anachronistische Zug oder
FREIHEIT und DEMOCRACY“. Die Wände im Schulhof marschieren aus der Reihe.
Überall liest man „Revolution statt Krieg“ und „1917 - 2017“. Stoff genug, Lehrpläne für ein
ganzes Jahr zu schreiben. Als eine Abteilung des Zuges mit bewaffneten Rotarmisten,
einer Roten Fahne und Schalmeien im Gepäck ins Foyer der Schule schreitet, möchten
die Schüler tatsächlich wissen, warum ein Panzer ausgerechnet bei ihnen zum Halten
kommt. „Übernehmt ihn doch“ bekommen sie zur Antwort. Lehrer sind da nicht zu sehen,
den Ausflug machen sie eben ohne sie. „Machtverehrer, Hirnverheerer“ liest es sich in
Brechts Gedicht weiter. Hart ist das, wo es doch auf die Demokratischen unter ihnen
ankommt, das zu verhindern. Am Gymnasium an der Hamburger Straße kam die Strophe
der Lehrer zum bitteren Ende: „Für das Recht, die deutsche Jugend, zu erziehn zur
Schlächterjugend“. Am Hintereingang des Pausenhofes stehen sie Spalier - im Namen der
„Aufsichtspflicht“. Hunderte Schüler drängen ihre Blicke zum Geschehen. Die einen
zerreißen die Flugblätter, die anderen stimmen mit meldenden Armen dem Vorschlag
eines Agitators auf der Schulmauer zu, zur nächsten Stunde den Klassen vorzuschlagen,
sich den Zug, der - ja, das tut er - eine andere Geschichte schreibt - einmal anzusehen.
Diese Geschichte stellt Polizisten auf den Schulhof eines hirnverheerenden Staates,
dessen treue Lehrer ihre Schüler zu fürchten beginnen. Im Namen des Unterrichts dürft ihr
nicht raus, Schüler. Vergessen werden sie es nicht. Wenn solche Züge Tumulte auslösen -
wie kann dann eine organisierte Schülerschaft noch zu halten sein? Radio Bremen kam
nicht drum rum, mit der Kamera während dieser Pause zu fragen, ob eine Revolution denn
wirklich etwas bringe.
In der gleichen Stadt, wenige Kilometer weiter, streikten sie bei Daimler nicht nur einmal.
Sobald der Streik nicht im nächsten Kampf mündet, kann das Kapital Resignation
erzeugen. Und solange diese Kämpfe nicht ebenso in Regensburg und München bei
BMW, in Wolfsburg bei VW und in Ludwigshafen bei BASF geführt werden, wird das nicht
gelingen, was die Bolschewiki mit 1917 perfektionierten - die Zentren so miteinander zu
verbinden, dass die Klasse tatsächlich als Subjekt und nicht als getriebenes Lamm der
Karriere-Reformer handelt. An den Toren 7 bis 9 sprachen wir heute davon. Wir müssen
nachsetzen.
Bremens Innenstadt dann erlebte ein kleines Chaos. Straßenbahnen kamen nicht
vorwärts, weil vor ihnen kleine Kundgebungen stattfanden. „Revolution - Viva Lenin!“ - zu
hören in den verschiedensten Sprachen - war ihr Inhalt. Die Stimmung musste nicht immer
auf unserer Seite sein. Denn die Stadt wollte nach Hause. Aber sie änderte sich, weil sie
einen Widerspruch ertragen musste, der in ihr selbst ausbrach. Die Mehrheit will die
Straßenbahn, eine Minderheit merkt, dass sie alles bestimmen. Sie sind es, die rufen:
„Nieder mit dem Kapitalismus“. Die Mehrheit war dahin. Kämpfe bringen
Unannehmlichkeiten ebenso mit sich, wie neue Organisatoren. Der Zug wird weiterfahren
Richtung Hauptstadt. Dorthin, wo die eigentliche Minderheit ihr Unwesen
zusammenzufassen versucht.